Am 2. September 1987 hatte Dr. Harald Prickler beim 17. Österreichischen Historikertag in Eisenstadt ein Referat über Typen und Probleme von Grenzen, dargestellt am Beispiel des burgenländisch-westungarischen Raumes, gehalten.
Dieses Referat wurde 1989 in den Burgenländischen Heimatblättern veröffentlicht.
Der burgenländische Historiker begann seine Ausführungen zum Thema Grenzen mit der Schilderung eines Chronisten aus dem Jahr 1683: Auf der Flucht vor den Türken sei die Bevölkerung der Gemeinde Marz auf der Anhöhe der Nachbargemeinde Mattersburg beim Roten Kreuz angelangt gewesen, als der mit den Bauern reisende Pfarrer noch einmal das vor den Türken gerettete „Allerheiligste“ gegen Marz hin erhob und um Gottes Segen bat.
„…und so seins furt ins Steirische“, habe der Chronist wortwörtlich gemeldet.
„Ins Steirische“? Sollte die Flucht tatsächlich über die Berge bis in die entlegene Steiermark geführt haben?
Auch im 20. Jahrhundert sei die Bezeichnung „Das Steirische“ für die Gegend südlich der Piesting üblich gewesen, obwohl dieser Landstrich längst zu Niederösterreich gehörte.
„Mit diesem Beispiel möchte ich andeuten, dass territorialen Grenzen neben ihrer rechtlichen Bedeutung auch psychologische Aspekte anhaften, dass die Wirksamkeit der Grenzen von den Menschen je nach dem Grad ihrer persönlichen Betroffenheit (Berührtheit) unterschiedlich wahrgenommen wird“, schreibt Dr. Prickler.
Er erläutert in seinem Aufsatz, wie es zu der Bezeichnung „Deutsche Hotter“, „Deutsche Bergen“ oder auch „Steirische Hotter und „Steirische Bergen“ für Grundstücke kam, die östlich der Lafnitz auf ungarischem Gebiet lagen.
Bemerkenswert ist auch der Fall des Dorfes Sinnersdorf bei PInkafeld, das im Mittelalter zur ungarischen Grundherrschaft Bernstein zählte und 1499 von Kaiser Maximilian dem Inhaber der benachbarten steirischen Grundherrschaft Thalberg, Hans von Rottal, als Dank für dessen Kriegsdienste geschenkt wurde. 1647 brach ein Konflikt über die staatsrechtliche Zugehörigkeit Sinnersdorfs zu Ungarn oder der Steiermark aus.
Auch die Leitha, seit dem Hochmittelalter Grenzfluss zwischen dem Herzogtum Österreich unter der Enns und dem Königreich Ungarn, lud immer wieder zu Grenzinterpretationen ein.
So wurde das östlich der Leitha gelegene Zillingdorf von Friedrich III. samt dem Nachbarort Lichtenwörth dem von ihm neu errichteten Bistum Wiener Neustadt als Dotation übergeben, kirchenrechtlich verblieb Zillingdorf jedoch bei der ungarischen Diözese Raab, wie Dr. Prickler berichtet.
Schließlich nennt Dr. Prickler den Fall der Gemeinde Draßburg, wo die Grafschaft Forchtenstein einen Ortsteil, das sogenannte „Obergut“ besaß. Der andere Ortsteil, das „Untergut“, gehörte zu dem hier errichteten Kastell, das im 16. Jahrhundert in den Besitz der Magnatenfamilie Nádasdy gelangt sei.
Die Familie Nádasdy bestand darauf, dass Untergut zu Ungarn gehörte, und weigerte sich, die Landesgerichtshoheit des in Österreich gelegenen Forchtenstein anzuerkennen.