Im Vorwort zu seinem Buch, das als Band 106 der Reihe „Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland“ erschienen ist, schreibt der Autor Dr. Gerald Schlag:
Die „Geburt dieses Landes“ aus den „Trümmern des zerfallenden Vielvölkerreiches Österreich-Ungarn“ war ein Geschehen, das nicht nur die Bewohner des deutsch-westungarischen Grenzstreifens und die beiden Nachbarstaaten – die neu entstehenden Republiken Österreich und Ungarn – betraf, sondern auch die europäischen Großmächte und die USA.
Sein Werk gibt Einblick in „das komplizierte, ja manchmal verwirrende Geschehen“ während der entscheidenden Jahre 1918 bis 1921, in denen die Weichen für das heutige Burgenland gestellt wurden.
Um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert lebten in Ungarn in verstreuter Lage mehr als zwei Millionen deutschsprachige Menschen. Sie stellten, wie Gerald Schlag schreibt, keine feste Gemeinschaft dar, und nicht einmal in Westungarn, wo sie in einzelnen Bezirken 42 bis 88% der Bevölkerung ausmachten, bildete sich keine einheitliche Gemeinschaft heraus.
Noch bestand die Habsburgermonarchie und enge wirtschaftliche Beziehungen verbanden den ungarischen und den österreichischen Raum.
Gerald Schlag schreibt:
Es war mehr als ein Symbol, dass Bildhauer-Sandstein aus dem Leithagebirge und vom Rüster Hügelland beim Bau des Stephansdomes dem Wahrzeichen Wiens und später bei den Prachtbauten der barocken Residenzstadt Verwendung fand.
Und weiter:
Man trank „Ruster” und „Ödenburger Wein” am Wiener Hof und in den Adelspalais der Kaiserstadt, und nicht zuletzt überstanden tausende Pferde in der Reichshaupt- und Residenzstadt Jahr für Jahr den Winter nur dadurch wohlgenährt, da sie ihr Heu von den weiten Ebenen des Wieselburger Komitates bekamen. ,,Heanzen und Heidebauern gehörten zum Alltagsbild auf den Märkten in Wien und in den niederösterreichischen Grenzstädten.
Die Heanzen und Heidebauern
Der Name „Heanzen“ (Hienzen) soll auf die mundartliche Bezeichnung für Hühner (=Heana/Hiena) zurückgehen. Die „Heanzen“ waren somit die „Hühnerhändler“.
Tatsächlich war das agrarisch etwas ungünstige Hügel- und Berggebiet am Westrand der Komitate Ödenburg und Eisenburg ein Schwerpunktgebiet der Hühnerzucht und Eierproduktion. Hunderte von Wanderhändlern aus den Dörfern dieses Gebietes brachten diese Produkte mit Korbwägen oder sogenannten Kraxen vor allem nach Wien, wo sie auf Märkten oder auf Straßen und Gassen durch Kaufrufe („Heana zan kaffa“ = „Hühner zu (verkaufen“) ihre Ware anboten.
Als Heidebauern bezeichnete man die deutschen Bewohner der Kleinen Ungarischen Tiefebene, also des Wieselburger (Mosoner) Komitats, die in erster Linie Heu, Gemüse und Gewürze auf den Wiener Markt brachten.
Nach dem Ende der Habsburger-Monarchie
Der Schrecken des Ersten Weltkriegs, der Hunger, Krankheit und Not über die Bevölkerung brachte, mündeten 1918 in die Auflösung des Habsburgerreichs, die Loslösung der einzelnen Nationen aus einem jahrhundertealten Staatsgefüge und einem neuen Streben nach dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“.
Für Deutsch-Westungarn stellte sich die Frage der künftigen Staatszugehörigkeit.
In einem Entwurf einer „Staatserklärung über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich“, das der Nationalversammlung in Wien am 12. November 1918 vorgelegt werden sollte, hieß es:
,Das in den bisherigen Ländern der ungarischen Krone gelegene geschlossene deutsche, dem deutschösterreichischen Staate unmittelbar angrenzende Siedlungsgebiet ist dem deutschösterreichischen Staatsgebiet einzuverleiben”. Im Anhang III. wurde dieses Gebiet näher umschrieben: ,Das an den Staat Deutschösterreich anzugliedernde Gebiet Deutsch Westungarn besteht aus folgenden Teilen der Gespanschaften Preßburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg…“
Es folgte eine Aufzählung einzelner Gemeinden aus dem heutigen Burgenland und dem westlichen Ungarn.
(Zitiert aus Gerald Schlag, Aus Trümmern geboren…)
Der schwierige Weg zum Anschluss an Österreich
Der Autor schildert das Ringen um den „Anschluss an Österreich“. das von Propaganda, Ausschreitungen und Unruhen begleitet war.
Eines der legendenumwobenen Kapitel dieser Zeit betrifft die Aktion „Republik Heinzenland“ – die „abenteuerliche“ Idee, im westungarischen Grenzraum eine eigenständige Republik, die „Republik Heinzenland“ auszurufen – ein Projekt, das mangels professioneller Organisation zum Scheitern verurteilt war.
Die Suche nach einem Namen
Jene Kreise, die sich um eine Vereinigung der Region Westungarn mit Österreich bemühten, begaben sich auf die Suche nach einem passenden Namen für den einzubeziehenden Landstrich.
„Deutschwestungarn“ suggerierte eine Verbindung zu Ungarn, „Heinzenland“ erinnerte an den Spottnamen „Heanzen“.
So suchte man eine neue „unbelastete” Landesbezeichnung, und fand schließlich 1918/19 den Namen „Burgenland”. Dieser ging auf eine Anregung von Mag. Adalbert Wolf zurück, der – sicherlich angeregt durch die enge Zusammenarbeit mit siebenbürgen-deutschen Politikern wie Rudolf Brandsch und Edmund Steinacker in der Volkstumsfrage – in Analogie zum Namen „Siebenbürgen” (als „Land der sieben Burgen”) für den neuen autonomen, aus dem deutschen Siedlungsgebiet der vier Komitate Pressburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg gebildeten „Gau” den Namen „Vierbürgen” vorschlug.
(Zitiert aus Gerald Schlag, Aus Trümmern geboren…)
Aus dieser Bezeichnung entwickelte sich der Name „Vierburgenland“, kurz danach „Dreiburgenland“, bald ließ man „Vier“ oder „Drei“ weg und im September 1919 ging, so Schlag, in Wien ein „Verzeichnis der Gemeinden des Burgenlandes“ in Druck.
Ringen um den Grenzverlauf
Doch bis es wirklich ein „Burgenland“ geben konnte, vergingen noch weitere zwei Jahre intensiver Verhandlungen. Formal war schon im November 1920 alles geklärt gewesen, als Ungarn den Friedensvertrag von Trianon unterschrieb. Jedoch gab es noch keinerlei Einigkeit bezüglich des Grenzverlaufs zwischen Ungarn und Österreich.
Weitere diplomatische Anstrengungen folgten, es wurde verhandelt und protestiert und reichlich Propaganda betrieben.
Ungarische Freischärler im Burgenland
Die Situation eskalierte. Ungarische Freischärler leisteten Widerstand gegen den Anschluss der westungarischen Gebiete an Österreich.
Ende August 1921 rückten Gendarmerie und Zollwache, insgesamt fast 2000 Mann, ins Burgenland ein. In einigen Gebieten kam es zu Gefechten mit den ungarischen Freischärlern. Auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen. Und schließlich mussten Heerestruppen zur Hilfe eilen.
Lösung in Venedig
Ende September 1921 war, wie Gerald Schlag schreibt, Österreichs Situation in der Burgenlandfrage „so düster wie nie zuvor“. Als Vermittler trat Italien auf. Im Oktober fanden in Venedig Verhandlungen statt, die in das „Venediger Abkommen“ vom 13. Oktober 1921 mündeten.
Für die Räumung des Burgenlandes durch Ungarn wurde eine Frist von drei Wochen vereinbart. In Ödenburg (Sopron) und im Umland sollte eine Volksabstimmung den Wunsch der Bevölkerung nach Zugehörigkeit zu Ungarn oder Österreich klären.
Abstimmung über Ödenburgs Zugehörigkeit
Die Ödenburger Volksabstimmung wurde am 14. Dezember 1921 in der Stadt Sopron, am 16. Dezember 1921 in den umliegenden Landgemeinden durchgeführt. Für Ungarn stimmten 15.338 Personen (65, 1 %), für Österreich 8.223 (34, 9%).
Gerald Schlag schreibt:
In Österreich war die Trauer über die Niederlage groß, aber noch größer war die Empörung über die ungarischen Machenschaften in den Wochen vor der Abstimmung, die zu dieser Abstimmungsniederlage geführt hatten. In Regierungskreisen, vor allem aber in der breiten Öffentlichkeit wurde der Ruf laut, das Abstimmungsergebnis von Ödenburg nicht anzuerkennen und eine Wiederholung des Plebiszits unter korrekten Bedingungen zu fordern.
Jedoch bestätigte die Botschafterkonferenz in Paris das Ergebnis der Ödenburger Abstimmung. Der österreichische Nationalrat ratifizierte am 28. Dezember 1921 das Protokoll von Venedig.
Das vollständige Werk von Dr. Gerald Schlag „Aus Trümmern geboren…“ findet man auf der Plattform zobodat: